Multichannel Retail Strategien

Multichannel Retailing, der Umbruch für den Einzelhandel

Kreativ&Söhne
  1. Intro
  2. Was ist Multichannel Retailing?
  3. Möglichkeiten von Multichannel Retailing
  4. Gründe für die Mehrkanalstrategie
  5. Vor und Nachteile von Multichannel Retailing
  6. Planung einer MCR Strategie
  7. Fazit
  8. tldr;

1. Intro

Der stationäre Einzelhandel ist seit jeher ein bewährtes Modell für den Vertrieb. In vielen Branchen aber konnten sich Unternehmen in den letzten Jahren nicht mehr gegen Wettbewerber mit online Vertrieb behaupten. Im Jahr 2020 haben sich die Voraussetzungen am Markt durch die Coronapandemie grundlegend verändert und deutliche Schwachstellen am Konzept des traditionellen Einzelhandels aufgezeigt. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus SARS-Covid19 bringen den Vertrieb vieler Einzelhändler zum wackeln. Umsatzeinbußen durch weniger Kunden im Laden, unterbrochene Lieferketten und die allgemeine Verunsicherung in der Bevölkerung treiben Einzelhändler an den Rand ihrer Existenz. Deshalb ist es dringend an der Zeit neue Wege im Bereich des Vertriebs einzuschlagen.
Das Stichwort heißt: Multichannel Retail Strategie.
Das klingt erstmal kompliziert und nach unverständlichem Marketing Bullshit-Bingo, ist jedoch eine gute Lösung für die durch Corona hervorgerufenen wirtschaftlichen Probleme von Einzelhändlern. Aber auch abgesehen von der Pandemie werden Einzelhändler mit lediglich stationären Geschäften für Kunden immer weniger attraktiv. In diesem Beitrag soll es um das Thema Multichannel Retail Strategien gehen. Was sich hinter dem Begriff verbirgt, welche Vor- und Nachteile es mit sich bringt und welche Möglichkeiten es für verschiedenste Unternehmen bereithält.

2. Was ist Multichannel Retailing?

Viele renommierte Wissenschaftler haben sich mit dem Thema Multichannel Retailing auseinandergesetzt, bis heute gibt es aber keine einheitliche Definition des Begriffs. Auf deutsch bedeutet es so viel wie Mehrkanalsystem des Vertriebs, was bereits Aufschluss über die Thematik gibt. Denn in diesem Punkt sind sich die Autoren gängiger Literatur einig: bei Multichannel Retailing handelt es sich um Vertriebsstrategien, bei denen mehrere jedoch mindestens zwei Vertriebskanäle eingesetzt werden. Retailing bezieht sich in diesem Fall auf den Einzelhandel.

Um einen neuen Vertriebskanal neben dem stationären Geschäft zu etablieren steht zu erst die Überlegung an, welche weiteren Wege es für den Verkauf von Produkten gibt. Schon bevor das Internet das Medium für Warenhandel wurde, waren Handelsvertreter ein gängiger Kanal für den Vertrieb von Produkten eingesetzt. Nach wie vor sind Handelsvertreter aber nur für bestimmte Produkte wirklich effektiv. Für Massenware oder Unternehmen mit vielen Produkten im Sortiment haben sich lange Zeit auch Kataloge zur telefonischen Bestellung bewährt. Im Laufe der Jahre wurden die meisten aber durch Onlinealternativen abgelöst. Als weitere Möglichkeit Produkte offline abzusetzen können Outletstores und -center genannt werden. Die stationären Geschäfte zum Vertrieb von Restposten mit günstigen Preisen bilden oft einen Zusammenschluss mit mehreren Unternehmen und erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Der Klassiker unter den Onlinevertriebskanäle ist der Onlineshop. Dieser funktioniert wie ein stationäres Geschäft, nur dass die Produkte in einer virtuellen Umgebung über das Medium Internet abgesetzt werden. Dabei soll der Onlineshop ein ähnliches oder besseres Kauferlebnis für den Kunden bieten als das Ladengeschäft. Weiterhin bietet der Onlineshop viele Vorteile gegenüber dem traditionellen Geschäft auf die im Folgenden noch näher eingegangen wird. Als letzten Vertriebskanal sind die Unternehmensgiganten für riesige Onlinemarktplätze wie Amazon, Alibaba oder Ebay zu nennen. Die wirtschaftlichen Umstände der Pandemie haben den Plattformen einen starken Wachstumsschub ermöglicht.

3. Möglichkeiten von Multichannel Retailing

Wie bereits beschrieben ist Multichannel Retailing der parallele Einsatz von mindestens zwei Vertriebskanälen. Dabei muss jedes Unternehmen für sich entscheiden welche Kanäle eine sinnvolle und effektive Kombination für ihre Produkte ergeben. Jedoch haben sich einige „best practice Strategien“ herausgebildet, die für eine Vielzahl von Unternehmen anwendbar sind. Eine klassische Kombination, genannt „Bricks & Clicks“ besteht aus stationärem Geschäft (Bricks) und Onlineshop (Clicks). Sie vereint dabei die Vorteile beider Kanäle und bietet Potential für Synergieeffekte. In einer gut abgestimmten Multichannel Strategie können sich die beiden Kanäle perfekt unterstützen und ergänzen. „Clicks&Sheets“ ist eine Variante, die auf stationäre Geschäfte verzichtet. Dabei wird der Onlineshop lediglich durch den Katalogversand ergänzt.

Besonders kleine und mittelständische Einzelhändler, die oftmals nicht die finanziellen und organisatorischen Mittel für einen Onlineshop aufbringen können, setzen auf den parallelen Vertrieb über die Onlinemarktplätze. Denn für den Vertrieb über Dienstleister wie Amazon oder Ebay müssen die Unternehmen keinen eigenen Onlineshop finanzieren.

Multichannel Retail Strategie

4. Gründe für die Mehrkanalstrategie

Nicht für jedes Unternehmen ist ein Multichannelsystem eine adäquate Lösung des Absatzproblems. Um die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Multichannel Retail-Lösung zu beantworten hilft es die ursprüngliche Entwicklung der Mehrkanalsysteme genauer unter die Lupe zu nehmen. Ausgangslage soll dabei das stationäre Ladengeschäft sein. In einem Markt, der nur aus stationären Einzelgeschäften besteht, ist schnell eine Sättigung erreicht. Das heißt die gesamte Nachfrage der Konsumenten an Produkten wird abgedeckt. Es gibt keine Möglichkeit für Unternehmen ihren Umsatz weiter zu erhöhen, außer indem sie Kunden von Konkurrenten abwerben. Im gesättigten Markt erhöht sich der Wettbewerbsdruck, das führt dazu, dass kleinste Preis- oder Produktänderungen zu massivem Kundenzu- oder Abfluss führen. Die Position einzelner Unternehmen am Markt ist da durch höchst instabil. Eine Lösung, um den herrschenden Konkurrenzdruck zu entgehen und die Position zu festigen, ist die Verfügbarkeit und Reichweite der Produkte zu erhöhen und sich damit einen Vorteil zu verschaffen. Stationäre Ladengeschäfte sind für eine lokale Zielgruppe, die im Einzugsgebiet des Ladens liegt. Mit einem weiteren Vertriebskanal, beispielsweise über einen Onlineshop, können die Produkte auf nationaler oder sogar internationaler Ebene für die Zielgruppe erreichbar gemacht werden. So können Unternehmen dem lokalen Wettbewerbsdruck entgehen und ihren Umsatz trotzdem steigern.

Ein weiterer wichtiger Punkt, um sich gegen Wettbewerber zu behaupten und sicher am Markt zu bleiben ist die Kundenbindung. Durch eine bessere Kundenbindung stellen Unternehmen sicher, dass ihre Kunden nicht zur Konkurrenz abwandern. Jedoch sind die Möglichkeiten Kundenbindung in stationären Geschäften aktiv zu fördern sehr begrenzt. Kundenkarten, individuelle Beratung und Rückgaberechte erhalten Kunden in den meisten Fällen auch bei der Konkurrenz und führen nicht zu einer langfristigen starken Bindung des Kunden an das Unternehmen. Der parallele Vertrieb über das Internet bewirken eine bessere Erreichbarkeit der Produkte für die Kunden, ermöglicht eine leichtere Kontaktaufnahme und Informationen zu Unternehmen und Produkten können rund um die Uhr abgefragt werden. Diese und viele weitere Faktoren können helfen die Kundenbindung und somit die Position am Markt zu verbessern.

Relevant für die Einführung eines zusätzlichen Distributionskanals ist weiterhin die Ausschöpfung von neuen Nachfragepotentialen. Zur Erklärung ein kleines Beispiel: Ein Unternehmen verkauft ein einzigartiges Produkt im stationären Einzelhandel. Die Nachfrage nach dem Produkt ist deutschlandweit hoch, jedoch sind nur Kunden im unmittelbaren Umkreis, um das Ladengeschäft in der Lage das Produkt tatsächlich zu erwerben. Wenn sich das Unternehmen jedoch dazu entscheidet ihr Produkt auch online, über einen professionellen Onlineshop oder eine Handelsplattform wie Amazon zu vertreiben, kann die Nachfrage in ganz Deutschland befriedigt werden. Das Unternehmen erreicht eine gewaltige Umsatzsteigerung allein durch die online Verfügbarkeit der Ware.

Auf die Frage, warum Multichannel Retailing sinnvoll sein könnte kann also zusammenfassend geantwortet werden:

  • neue Absatzpotentiale können ausgeschöpft werden
  • Kundenbindung wird erhöht
  • Marktposition wird gefestigt
  • Umsatzsteigerung

5. Vor- und Nachteile von Multichannel Retailing

Das eine Multichannel Retailing Strategie einem Unternehmen nachhaltig helfen kann den Umsatz zu erhöhen und die Marktposition zu festigen ist klar geworden. Im Folgenden soll explizit auf die einzelnen Vorteile eingegangen werden aber auch die Nachteile beleuchtet werden.

Vorteile

Erreichbarkeit

Nicht nur das stationäre Geschäfte durch Distanz und Infrastruktur nur für bestimmte Personengruppen erreichbar sind, auch Öffnungszeiten und Feiertage beschränken den Warenzugang der Konsumenten. Hinzukommen mögliche Einschränkung wie die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie. Vorteilig an einem Mehrkanalsystem im Vertrieb, beispielsweise durch die Ergänzung mit einem Onlineshop, ist die bessere Verfügbarkeit der Produkte. Onlineshops sind nicht durch Öffnungszeiten limitiert.

Präsenz zeigen

In der heutigen Zeit kann Präsenz für Unternehmen ein wichtiger Wettbewerbsvorteil sein. Konsumenten leiden durch die omnipräsente Werbung an Reizüberflutung. Da kann ein stationäres Geschäft schnell verdrängt werden. In diesem Fall kann es hilfreich sein den Kunden über einen weiteren Kanal zu erreichen und für ihn präsent zu sein. Sichtbarkeit ist in hart umkämpften Branchen das KO-Kriterium für eine stabile Position am Markt. Ein Onlineauftritt bietet nebenbei auch maßgeschneiderte Werbemöglichkeiten, die dem Ladengeschäft nicht zur Verfügung stehen.

Synergieeffekte

Bei all den Vorteilen eines Onlineshops gegenüber stationären Geschäften stellt sich die Frage: Warum Multichannel Retailing und nicht reiner Onlineshop? Die Erfahrungen vieler Unternehmen mit Multichannelsystemen haben gezeigt wie sich einzelne Vertriebskanäle gegenseitig unterstützen können. Das Internet spielt eine immer größer werdende Rolle für die Kaufentscheidung eines Konsumenten, auch für das stationäre Geschäft. Beispielsweise profitieren Kunden der Elektrofachmärkte Media Markt und Saturn vom Multichannelvertrieb der Händler. Kunden können sich im Online Shop zu verschiedenen Produkten Informationen einholen, im Geschäft können die Produkte dann angesehen und gekauft werden. Ebenso können im Laden angesehene Waren nach reichlicher Überlegung im Onlineshop erworben werden ohne dafür nochmal in den Laden zu müssen. Auch der Kundenservice und die Beratung kann für mehrere Vertriebskanäle agieren. Durch ein Multichannelsystem ergibt sich für den Kunden ein umfassenderes Kauferlebnis, was im Normalfall zur Erhöhung sowohl der Absatzzahlen als auch der Kundenzufriedenheit führt.

Datengewinnung

Um das Kauferlebnis für den Kunden optimal zu gestalten werden über die Konsumenten so viele Informationen wie möglich gesammelt. Dabei spielen Name, Adresse, Alter aber auch Kaufverhalten eine wichtige Rolle. Beispielsweise können dem Kunden Kaufempfehlungen basierend auf seinen bisherigen Einkäufen gegeben werden. Dafür ist es vorteilig Daten aus mehreren Quellen zu beziehen. Über einen Onlineshop kann eingesehen werden, welcher Kunde sich welche Waren ansieht, welche im Warenkorb landen und welche letztendlich gekauft werden. In einem stationären Geschäft hingegen können gewisse Kaufverhalten über Kundenkarten analysiert werden. Zusammenfassend kann gesagt werden: je mehr Informationen über einzelne Kanäle gewonnen werden können, desto besser können sie an die Kunden angepasst werden.

Nachteile

Aufwand

Der Aufbau eines weiteren Vertriebskanals benötigt kaum weniger organisatorischen Aufwand als der des Ersten. Ebenso wie für ein stationäres Geschäft fordert auch ein Onlineshop Planung, Personal, Administration, Rechnungswesen und den Ausbau von Lager und Logistik. Auch wenn einige dieser Aufgaben bereits durch intelligente Software unterstützt werden können, so entsteht jedoch ein erheblicher Mehraufwand für das Unternehmen.

Kosten

Einen Vertriebsweg permanent am Laufen zu halten verursacht Kosten. Der höhere Personalaufwand sowie die laufenden Kosten für Marketing und Software können besonders für kleine und mittelständische Unternehmen ein Risiko darstellen. Auch die initialen Kosten zur Entwicklung beispielsweise eines professionellen Onlineshops liegen oft nicht im Budget der Unternehmen.

Fehlinvestition

Aufgrund der Vielzahl an Vertriebsmöglichkeiten riskieren Unternehmen schnell, sich für die falschen Distributionswege entschieden zu haben. Erfolgreiches Multichannel Retailing lässt sich nur mit einer intensiven Analyse der Zielgruppe und einzelner Kanäle betrieben. Vielen Unternehmen fehlen jedoch die Kenntnisse, um eine Multichannel Retailstrategie erfolgreich umzusetzen.

6. Planung einer MCR Strategie

Abbildung Multichannel Retailing

Um das Risiko einer Fehlinvestition in Multichannel Retailing so gering wie möglich zu halten muss bei der Planung wichtige Kriterien untersucht werden. Diese beziehen sich vorrangig auf die Zielgruppe und die am Markt positionierten Wettbewerber.

Bei der Zielgruppe kann zwischen demografischen und verhaltensspezifischen Eigenschaften unterschieden werden. Alter, Geschlecht, Herkunft, Einkommen und Wohnsitz sollten unter den demografischen Kriterien untersucht werden. Beispielsweise gibt das Alter oftmals Aufschluss über die durchschnittliche Nutzung einzelner Vertriebskanäle. So wird ein Onlineshop für eine Zielgruppe im Alter von 65 und älter nur wenig rentabel sein, da die derzeitige Internetnutzung bei Generationen in diesem Alter sehr gering ausfällt. Unter den verhaltensspezifischen Eigenschaften spielen besonders Wertevorstellung, Service-Erwartung sowie Flexibilität und Mobilität eine Rolle. Ist die Service-Erwartung der Zielgruppe hoch sollte auf den Verkauf über einen Drittanbieter verzichtet werden. Ein stationäres Geschäft eignet sich nicht für Zielgruppen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind.

Bei der Analyse der Wettbewerber sollte erörtert werden, welche Vertriebskanäle Konkurrenten nutzen und wie gefestigt deren Position am Markt bereits ist. Danach kann entschieden werden, ob das Unternehmen in der Lage ist mit den anderen Marktteilnehmern zu konkurrieren.

7. Fazit

Klar ist, dass eine Multichannel Retailstrategie immer individuell für das jeweilige Unternehmen zugeschnitten werden muss. Eine allgemeingültige Lösung gibt es nicht. Jedoch hat sich gezeigt, dass sich die Kombination aus stationärem Geschäft und Onlineshop für eine Vielzahl an Unternehmen als rentabel erweist. Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass ein Onlineshop ohne adäquate Online Marketingmaßnahmen nur wenig zeigt. Suchmaschinenoptimierung und Anzeigenwerbung können aber gute Mittel sein, um den Onlineshop in Fahrt zu bringen. Für kleinere Unternehmen mit weniger finanziellen Mitteln bietet sich die Wahl des Vertriebs über eine Handelsplattform an.

Gerade das Jahr 2020 mit seinen aufgrund der Coronapandemie weitrechenden Folgen für die Wirtschaft sollte gezeigt haben, dass es nicht ausreicht mit lediglich einem Vertriebskanal krisensicher und stabil zu wirtschaften. Der Fakt, dass wirtschaftliche Krisen niemals ausgeschlossen werden können und der steigende Konkurrenzdruck vieler Märkte machen deutlich, dass Unternehmen, die sich nur auf einen Kanal des Vertriebs beschränken nur in den seltensten Fällen langfristig bestehen können. Aufgrund der vorherrschenden nachfrageorientierten Wirtschaft sind die Unternehmen an die Bedürfnisse und Gewohnheiten der Konsumenten gebunden. Aus diesem Grund sollte auf die Auflösung stationärer Geschäfte und die reine Abwiegelung des Vertriebs über Online-Kanäle vorerst verzichtet werden.

tldr;

Multichannel Retailing bedeutet den Vertrieb über mehrere Kanäle zu gestalten. Durch die Verwendung mehrerer Vertriebskanäle können die Kundenbindung erhöht, die Marktposition gefestigt sowie eine Umsatzsteigerung durch neue Absatzpotentiale erreicht werden. Damit sind Multichannel Retail Strategien nicht nur zeitgemäß und effektiv sondern bieten auch Krisensicherheit und langfristiges Wachstum.

Literatur

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